Kunsthandwerk im 21. Jahrhundert
Zeitgenössisches Kunsthandwerk umfasst zahlreiche Gewerke und eine Vielfalt an traditionellen und modernen Techniken ebenso wie mannigfaltige ästhetische und funktionale Formen. Stets zeugen kunsthandwerkliche Objekte von der individuellen Gestaltung und der persönlichen Handschrift der Kunsthandwerker:innen. Konzeptionelle Überlegungen treten dabei immer stärker in den Vordergrund, so dass sich fließende Übergänge zum Design und zur freien Kunst ergeben.
Die Danner-Stiftung vollzieht diese Entwicklung selbstverständlich mit und ist den heutigen Interpretationen kunsthandwerklichen Arbeitens genauso verpflichtet wie dem kunsthandwerklichen Gestalten zu Zeiten der Stifterin. So verschieden der Blick auf das Kunsthandwerk und seine zeitgebundene Ausprägung auch sein mag - einige Sichtweisen seien hier exemplarisch wiedergegeben - bei aller Veränderung über die Zeit gibt es doch eine Konstante: die Qualität handwerklichen Könnens und künstlerischer Auseinandersetzung und Gestaltung.
Prof. Tulga Beyerle, Leiterin des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg
Kunsthandwerk ist an Materialien gebunden, die von GestalterInnen meisterhaft – oder bewusst die Regeln missachtend – bearbeitet werden. Oft verblüfft die „Überlistung“ des Materials, das sich ganz anders als erwartet verhält. Mich begeistern immer wieder die Überzeugung und Leidenschaft, etwas auch gegen den Strich in Form zu bringen. Kunsthandwerk fasziniert dann nachhaltig, wenn es mehr erzählen kann, als man auf den ersten Blick sieht.
(Art Aurea, 56/2024)
Chequita Nahar, Schmuckkünstlerin, Dozentin und Kuratorin
Kunsthandwerk bedeutet heutzutage mehr als allein gute Handarbeit oder handwerkliche Fertigkeiten. Ein kunsthandwerkliches Objekt erzählt eine Geschichte, häufig die des Erzeugers, dessen Vision durch spezifische Materialien und Formen zum Ausdruck gebracht wird. Es ist also kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck.
(Danner-Preis Katalog 2011)
Dr. Sabine Runde, Oberkustodin a. D., Museum Angewandte Kunst Frankfurt am Main
In fact, as the word order suggests, it is about art in connection with craftsmanship, and in the joining of two autonomous expressions, something emerges which is still, to date, undervalued in itself but has a fundamental rote in human history. Ever since the hand axe, many artefacts, starting with those out of stone or bone, clay or metal, are confirmation of the creative discovery and mental interpretation of a given material by means of a technique, by humans. […] Historically speaking, this significance and value was never doubted, until the nineteenth century. Earlier, working by hand was the only possible means of production; however, in the course of industrialisation, it advanced to become the polar opposite, of profit-oriented mass production. Today arts and crafts is a discipline for the creation of one-off pieces with an option for functionality and decoration with authenticity as an ideal. Being on the interface of applied art, product design and art, the term remains undefined in the history of art and is still shunted back and forth today.
(aus: Sabine Runde und Matthias Wagner K (Hg.), Kunsthandwerk ist Kaktus, Stuttgart 2022)
Peter Bauhuis – Danner-Ehrenpreisträger 2020 – über seine Kettenskulpturen
Ketten am Stück gegossen. Die Skulpturen sind Objekte, und sie können auch Schmuck sein. […] Um sich die im Baum enthaltene Kette um den Hals legen zu können, muss man sie von den Angüssen trennen. Doch dieser Vorgang ist nicht umkehrbar. Will man ein Objekt mit der Möglichkeit zur Kette („chain chained“) oder will man die tragbare Kette mit der Erinnerung an ihre ungewöhnliche Herstellung („chain unchained“)? Man muss sich entscheiden!
(Danner-Preis Katalog 2020)
Gunther Pfeffer – Danner-Preisträger 2023 – über seinen Vitrinenschrank „Raster“
Feine Körbe aus Tanne stapeln sich in die Höhe. Besonders ist die feingliedrige Hülle, die nur in orthogonalen Achsen transparent wird. Ändert man den Blickwinkel, verschließt sich die Hülle, es bleibt das streng geometrische Raster sichtbar. Umschreitet man das Objekt, bewegt sich scheinbar die Hülle, neue Blickachsen, Licht- und Schattenspiele werden sichtbar. Eine Vitrine, die ihren Inhalt nur dem preisgibt, der sich die Mühe macht, sich mit dem Objekt zu beschäftigen. Der auf die Suche geht nach dem Dahinterliegenden. So soll der Inhalt in der Wertigkeit erhöht werden, der Blick darauf etwas Besonderes werden. Wir leben in einer Zeit, in der viele Dinge sofort verfügbar sind, sichtbar sind. Alles wird schnelllebiger, austauschbarer. Sich Zeit zu nehmen für besondere Dinge, sich damit zu beschäftigen wird zur Ausnahme. Ruhe, kindliche Neugier, Forscherdrang lassen Objekte für jene Menschen sichtbar werden, die es sich durch die aktive Beschäftigung mit dem Umfeld, dem Umraum verdienen. Den schnellen Blicken verschließt sich das Objekt.
(Danner-Preis Katalog 2023)
Christoph Straube – Danner-Ehrenpreisträger 2023 – über seine Emaille-Broschen
Einfache, flache Formen mit einem weiß emaillierten Hintergrund sind wie eine leere Leinwand, auf der durch Neuinterpretation der klassischen Emaillemalerei die Zeichnung eines dreidimensionalen Körpers entsteht. Um Tiefe in den Farben, Farbmischungen und weiche Verläufe zu erreichen, wird fein gemahlenes Emaille gesprüht, Schicht für Schicht im Ofen gebrannt und teilweise wieder durch Sandstrahlen entfernt. Die Illusion der Dreidimensionalität dieser Stücke erzeugt einen imaginären Raum, der nur in der Vorstellung des Betrachters existiert.
(Danner-Preis Katalog 2023)
Paul Müller – Danner-Ehrenpreisträger 2020 – über seine Kerzenleuchter „Lichtträger“
Die Idee, einen Kerzenleuchter mit zwei Beinen zu bauen, faszinierte mich. Ein auf den Kopf gestelltes „Y“ ergibt zwei Beine und eine Strebe, die senkrecht nach oben steigt. Zwei schwere, auf die Kante gestellte Würfel verleihen der Form ihren Stand. Den oberen Abschluss bildet ein dritter Würfel mit einer Bohrung zur Aufnahme der Kerze. Überrascht, wie figürlich der Leuchter geworden ist, nannte ich ihn „Lichträger“.
(Danner-Preis Katalog 2020)
Julie Metzdorf, Jurymitglied, über die Keramikobjekte von Petra Bittl – Danner-Ehrenpreisträgerin 2020
Petra Bittl erhält einen der Danner-Ehrenpreise 2020 für drei keramische Gefäße. Dass es Gefäße sind, ist unstrittig […] Und doch denkt man bei ihrem Anblick unweigerlich an menschliche Figuren. Die Titel – „Paar“ und „Wintergestalt“ – unterstützen diese Deutung. Von den Parallelen zwischen Mensch und Gefäß erzählt schon die Sprache: Vasen oder Krüge haben einen Fuß, einen Bauch, einen Hals. Petra Bittls Gefäße haben sogar einen Rücken: Ihre Rückseite ist flach, wie bei einer Relieffigur, die sich aus einer Wand herausschält. Diese besondere Form ergibt sich aus der Technik: Die Gefäße sind auf einer flachen Platte aufgebaut. Das Faszinierende an der Arbeit mit Ton ist für Petra Bittl die Wandlungsfähigkeit der Masse, wie sie erst weich und formbar in der Hand liegt, dann aber nach dem Brand steinhart wird. Vergänglichkeit und Unsterblichkeit sind im Material angelegt – vielleicht ist es dem Menschen deshalb so ähnlich. Das Besondere an Petra Bittls Arbeiten ist, dass das Weiche des ursprünglichen Tons in den gebrannten Gefäßen sichtbar bleibt. Wellen erinnern an Stofffalten und lassen die Formen wie ein Gewand erscheinen.
(Tätigkeitsbericht der Danner-Stiftung 2020)
Prof. Dr. Angelika Nollert, Jurymitglied, über die Magnetbrosche „Wohin“ von Bettina Dittlmann – Danner-Preisträgerin 2020
Seit 2017 setzt Bettina Dittlmann Magnete in ihre Schmuckarbeiten ein, um ausschüssigen und poveren Materialien wie Zunder, Eisenstaub oder Eisendraht eine neue Form zu geben, ohne dabei eine endgültige Gestalt zu formulieren. Dieses radikale Bekenntnis zu Erneuerung, Mitwirkung und Veränderung verleiht ihrem Werk eine sozial-gesellschaftliche und politische Relevanz. Ihr Schmuck ist in diesem Sinne auch ein Angebot an seine Trägerinnen und Träger, aktiv Verantwortung zu übernehmen.
(Tätigkeitsbericht der Danner-Stiftung 2020)